Mit der Uhr in der Hand

(1.)
Wir leben in ’ner eiligen, hastigen Zeit,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Der eine, der schiebt heut den andern beiseit‘,
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.
Wir dräng’n alle vorwärts, ob Hinz oder Kunz,
sind stets außer uns, und wir komm’n nie zu uns,
denn wir werden mit uns ja nur flüchtig bekannt,
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.

(2.)
Der Tag, der beginnt schon in eiligem Lauf,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Der Wecker, der weckt uns, wir stehen schon auf,
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.
Schnell zieh’n wir uns an und wir schling’n unsern Schmaus.
Der ist noch nicht runter, da treten wir aus,
und sitzen selbst dort, an der hinteren Wand
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.

(3.)
Wir turnen, trainier’n, zum Masseur geh’n wir hin
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir fressen uns dick und wir fasten uns dünn
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.
Wir geh’n nie, sind nur auf dem Laufenden stets.
Wenn wir mal wen treffen, dann frag’n wir: „Wie geht’s?“
Und eh der’s uns sagt, sind wir weiter gerannt
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.

(4.)
Wir machen ne Reise im Automobil
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir reisen nicht mehr, nein, wir rasen zum Ziel
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.
Fragt man uns: „Die Gegend, die war wohl sehr schön?“
Dann sagen wir „Ja!“, doch wir hab’n nichts geseh’n.
Denn wir fuhr’n bloß vorbei ohne Sinn und Verstand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

(5.)
Wir sind auf dem Ball, im Theater zu sehn
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Zum Rendezvous gehen wir um vierzehn Uhr zehn
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.
Um fünfzehn Uhr dreizehn erscheint „sie“ am Ort,
um fünfzehn Uhr sechzehn, da müssen wir fort.
Und sie denkt: „Du Rindvieh, du Riesenpedant,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.“

(6.)
Wir fahr’n in die Ferien und sitzen am Strand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Erwarten die Post, den geschäftlichen Stand
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.
Ein Buch mal zu lesen, das wär‘ ein Genuss –
Wir lesen den Anfang und schau’n nach dem Schluss,
durchblättern den Heine, durchfliegen den Kant
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.

(7.)
Wir wetten beim Rennen und schau’n wie gebannt
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Denn wir hab’n ja den richtigen Pferdeverstand
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.
Der Stall des Herrn Weinberg stellt Pferde en gros.
Beim Verlieren weint Weinberg, beim Gewinn’n ist er froh.
Dann wird er „der fröhliche Weinberg“ genannt,
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.

(8.)
Die Liebe, die Ehe betreib’n wir als Sport
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir find’n uns, verbind’n uns und pflanzen uns fort
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.
Will sie ihn mal küssen, dann stellt er sich froh
Und denkt sich: „Nun mach schon, ich muss ins Büro!“
Und er drückt sie ans Herze uns küsst sie galant
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

(9.)
So eil’n wir durchs Leb’n ohne Freud und Plaisir
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Da, plötzlich, steht einer, ist mächt’ger als wir,
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.
Der sagt: „Du brauchst nicht auf die Uhr mehr zu sehn,
denn meine geht weiter und deine bleibt steh’n…“
Und er winkt uns hinüber ins andere Land
mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.