Kinder, Kinder, was sind heut für Zeiten!

(1.)

Kinder, Kinder, was sind heut für Zeiten!

Stets erfährt man neue Schlechtigkeiten.

Gar nichts Gutes wird jetzt mehr vernommen.

Viel zu früh sind wir zur Welt gekommen.

Unsre Kinder hab’n’s mal besser hier –

Ach, ich wollt, ich wär n Kind von mir!

 

(2.)

Kinder, Kinder, was sind heut für Zeiten!

Wo man hinsieht, Schwindel und nur Pleiten!

Einen Schwindler mit verschiednen Strafen

Fragt ich heut: „Könn’n Sie denn ruhig schlafen?“

„Ja“, sagt der mit heiterem Gesicht,

„ich schlaf gut, bloß meine Gläub’ger nicht.“

 

(3.)

Kinder, Kinder, was sind das für Zeiten.

Scheidung’n komm’n jetzt oft bei Eheleuten.

Mancher nahm die zweite, dritte, vierte,

bis sein Weg zurück zur ersten führte.

Die war gerade weg vom dritten Mann –

Und nun fang’n die zwei von vorne an!

 

(4.)

Kinder, Kinder, was sind heut für Zeiten!

Man will jetzt die Brautleut vorbereiten.

Soll’n zusammn’n schon bleiben beim Verloben,

um ein Jahr die Eh erst auszuproben.

Ach, ich glaub, dann wird sich bloß verlobt

Und dann wird immer wieder n Jahr geprobt.

 

(5.)

Kinder, Kinder, was sind heut für Zeiten!

Steuern komm’n auf alle Lustbarkeiten.

Selbst ne Hochzeit wird besteuert heute,

doch als jüngst ein Mann ne Alte freite,

und der Fiskus sah die späte Maid,

sagt er: „Nein, ’s ist keine Lustbarkeit!“

 

(6.)

Kinder, Kinder, was sind heut für Zeiten!

Spitzbuben könn’n bei uns nichts mehr erbeuten,

finden nichts, man muss sich beinah schämen!

Schließlich gebn se was, statt was zu nehmen,

wie es jüngst in Dessau mir geschah:

Weil nichts da war, ließen se was da!

 

(7.)

Kinder, Kinder, was sind heut für Zeiten!

Was die Diebe uns für Angst bereiten!

Komm’n auf Tricks, die früher keiner kannte;

Kürzlich haben sie meiner alten Tante,

als sie gähnte und nicht hingeschaut,

aus dem Munde das Gebiss geklaut.

 

(8.)

Kinder, Kinder, was sind heut für Zeiten!

Kürzlich sah ich nachts beim Heimwärtsschreiten

einen jungen Dieb nen Amboss tragen.

„Warum so was Schweres?“, tat ich fragen.

„Ja, ich stehl heut’s erste Mal“, sagt er,

„und der Anfang, der ist immer schwer.“