(1.)
Wir lieben uns zu sehr, ja, wir lieben uns zu sehr,
wir gönn’n andern manches, uns gönnen wir mehr.
Wenn andre jetzt arm sind, dann liegt’s an der Zeit,
wenn wir was verlor’n haben, dann tut’s uns sehr leid.
Zahln wir hohe Steuern, da tobn wir nicht schlecht,
doch trifft’s nur die Andern, dann finden wir’s gerecht.
(2.)
Wir lieben uns zu sehr, ja, wir lieben uns zu sehr,
mit uns hab’n wir Mitleid beim kleinsten Malheur.
Wir warten beim Zahnarzt und lesen im Blatt:
„Erdbeben! Zehntausend kam’n um in der Stadt!“
Ja, das zehntausend um kam’n, bedauern wir sehr,
aber ein Zahn, der uns weh tut,
der schmerzt uns noch mehr.“
(3.)
Wir lieben uns zu sehr, ja, wir lieben uns zu sehr,
die Fehler der andern verstehen wir schwer.
Doch unsere Fehler verstehn wir sehr fein –
Und alles verstehen, heißt alles verzeihn.
Das Böse, das lächelnd an uns wir gewahrn,
geniert uns erst dann, wenn’s die anderen erfahrn!
(4.)
Wir lieben uns zu sehr, ja, wir lieben uns zu sehr,
nur uns und die Unsern, die schätzen wir höh’r.
Die Kinder der anderen, die tadeln wir nie,
aber unsre sind netter, viel besser als die!
Und mag unser Kind noch so hässlich aussehn:
Sobald es uns ähnlich ist, finden wir’s schön!
(5.)
Wir lieben uns zu sehr, ja, wir lieben uns zu sehr,
finden uns schön in der Jugend, im Alter noch mehr,
den Graukopf vom andern, den woll’n wir nicht sehn,
aber die eigene Glatze, die finden wir schön.
Und wenn wir nen Bauch hab’n mit fünfzig Pfund Speck,
dann nenn’n wir das vollschlank und sehn drüber weg.
(6.)
Wir lieben uns zu sehr, ja, wir lieben uns zu sehr,
auch andre zu lieben sei unser Begehr!
Selbst das Tier soll’n wir lieben wie uns ungefähr.
Ja, Austern und Hummern, die lieben wir sehr.
Wenn n Jockey n Pferd schlägt, bedauern wir das Vieh,
aber wenn wir uns drauf gesetzt hab’n, bedauernd wir’s nie!
(7.)
Wir lieben uns zu sehr, ja, wir lieben uns zu sehr,
wir sitzen im Zug, das Abteil ist ganz leer.
Da kommt noch n Zweiter, da sag’n wir: „Besetzt!“,
aber der setzt sich trotzdem und belehrt uns verletzt:
„Warum denn nur sich lieb’n. ’s ist ja Platz noch für vier!“
Und kommt dann n Dritter, dann macht’s der Zweite wie wir…
(8.)
Wir lieben uns zu sehr, ja, wir lieben uns zu sehr,
wir sparen nur für uns, für das Alter nachher.
Und end’n wir zu früh und das Geld liegt verwahrt,
dann heißt’s: „Er war brav, hat’s den Seinen gespart.“
Ja, wir wussten ja bloß nicht, wie lange wir leb’n,
sonst hätten wir’s vorher für uns ausgegeb’n!
(9.)
Wir lieben uns zu sehr, ja, wir lieben uns zu sehr,
auch wir Künstler, wir lieb’n uns, sonst käm’n wir nicht her.
Wir lieb’n unsern Quatsch, uns gefällt das sehr gut
Und wir spenden uns n Kranz, weil’s kein Anderer tut.
Und mit dem Kranz gehen wir wandern, als wär’n wir weiß wer,
denn wir sind wie die Andern: Wir lieb’n uns zu sehr!