Zum Autor

Der Couplet-Autor Otto Reutter war der populärste und bestbezahlte Coupletsänger seiner Zeit, des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, also im späten Wilhelminischen Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Er wurde 1870 als Otto Pfützenreuter in Gardelegen (Altmark) in kleinen Verhältnissen geboren. Den Namen änderte er später, weil er ihn für wenig werbewirksam hielt. Schon früh verspürte er den Drang zum Theater und ging nach Berlin, um Schauspieler zu werden. Zwar landete er auch am Theater, allerdings nur als Bühnennarbeiter und Komparse.

Otto Reutter

In seiner Zeit als Dramenschreiber bei einem Bibliothekar im Badischen lernte er die dortige Volksmusikbewegung kennen. Ab 1896 sang er regelmäßig seine selbst gedichteten und selbst komponierten Couplets in verschiedenen Berliner Theatern sowie auf Deutschland- und Auslandsgastspielen. Während der Inflation verlor er sein zusammengehäuftes Vermögen und musste daher erneut auf Tourneen gehen, bis er 1931 auf einer solchen Tournee in Düsseldorf an einem Herzanfall starb. Reutter parodierte in seinen über 1000 Couplets nicht nur die Tagesaktualität, sondern auch typisch menschliche Verhaltensweisen, sodass viele seiner Lieder zeitlos wurden und uns noch heute faszinieren und zum Lachen bringen.

 


Otto Reutter
(Essay von Kurt Tucholsky, leicht gekürzt)

Ein schlecht rasierter Mann mit Stielaugen, der aussieht wie ein Droschkenkutscher, betritt in einem unmöglichen Frack und ausgelatschten Stiefeln das Podium. Er guckt dämlich ins Publikum und hebt ganz leise, so für sich hin, zu singen an.
Diese Leichtigkeit ist unbeschreiblich. (…) Dieser Fettbauch hat eine Grazie, die immer wieder hinreißt. Die Pointen fallen ganz leise, wie Schnee bei Windstille an einem stillen Winterabend. (…)
Diese Pille vorweggenommen: Welch ein Künstler –! Alles geht aus dem leichtesten Handgelenk, er schwitzt nicht, er brüllt nicht, er haucht seine Pointen in die Luft, und alles liegt auf dem Bauch. Ein Refrain immer besser als der andre – wie muß dieses merkwürdige Gehirn arbeiten, dass es zu jeder lustigen Endzeile immer noch eine neue Situation erfindet. Und was für Situationen!
Ein Refrain hieß: „In fünfzig Jahren ist alles vorbei!“ Heiliger Fontane, hättest du eine Freude gehabt! – Die Melodie blieb auf „vorbei“ in der Terz hängen – erst das Klavier endete sie, und er stand da und machte ein dummes Gesicht. Und sah aus wie ein Kuhbauer und entzückte und charmierte durch seine Grazie. Wenn dich der Zahnarzt, sang er, an einem Zahn durchs Zimmer schleift, und es will gar nimmer enden – „dann mach dir nichts aus der Schweinerei, denn in fünfzig Jahren ist alles vorbei … !“
Und dann ein Lied, meisterhaft, in total besoffenem, von nichts ahnendem Tonfall gesungen: „Ick wunder mir über jahnischt mehr –!“ Abends käme er nach Hause, sang er, und da –
Da steht vor meine Kommode ’n Mann –
Der sagt: „Sie! Fassen Se mal mit an!
Alleene is mir det Ding zu schwer …“
Ick wunder mir über jahnischt mehr –
Und dazu ein Mondgesicht, unbeteiligt, mild leuchtend durch die Wolken – was soll man dazu sagen?
Die Leute sagen auch gar nichts, sondern liegen unter dem Tisch, und wenn sie wieder hochkommen, dann verbeugt sich da oben ein dicker und bescheidener Mann, der gar nichts von sich hermacht, obgleich er ein so großer Künstler ist.

Peter Panter
(Die Weltbühne, 06.01.1921)