Ick wunder mir über gar nischt mehr

Ick wunder mir über gar nischt mehr

 

(1.)
Die Zeiten sind heute recht sonderbar,
det Wundern verlernt man janz und jar
Drum denk‘ ick een für alle Mal,
wat och passiert, is mir ejal.
Und jeht ooch allens de kreuz und quer,
ick wunder mir über gar nischt mehr!

(2.)
Ick koofte mer kürzlich Ledersohl’n
Meine Frau ließ grade ’n Biffsteak hol’n.
Det Biffsteak war zäh und de Sohlen weich.
Drum kocht se de Sohl’n – ick fraß se gleich,
uff det Biffsteak loof ick noch heut‘ umher,
ick wunder mir über gar nischt mehr!

(3.)
Man wird heut betrogen in eene Tour,
ick koofte mir kürzlich ’ne jroße Uhr.
Na, det is ’n Ding, die macht Plaisier –
wenn die uff zwee steht, schlächt se vier –
und denn is halb neune unjefähr…
Ick wunder mir über gar nischt mehr!
(4.)
Ick koofte mir jestern von eenen Mann
zwee Frankfurter Würschte – ick sah se an:
„Sind det ooch Frankfurter?“, er saacht: „Ja.“
Und wie ick se uffhabe, saacht er da:
„Det Pferd stammt direkt von Frankfurt her.“
Ick wunder mir über gar nischt mehr!

(5.)
Ick saach zu nem Mann: „Ick hab jenuch
Ick werd‘ aus de Steuerverordnung nich kluch!“
„Ja,“ saacht er, „mir sind se ooch nich klar.
Und wissen Se denn, wat der Mann war?
Der war Ober-Steuersekretär…
Ick wundre mir über gar nischt mehr!

 

(6.)
Det Sterben is bald teurer wie’t Leben hier.
Et jibt jetzt schon Särge aus Packpapier.
Na, mir is ejal – ick bin nich stolz.
Immer rin inne Pappe – ick brauch‘ keen Holz!
Liech ick erst ma unten janz leger,
denn wundre ick mir über gar nischt mehr!

(7.)
Ick kam jestern inne Nacht nach Haus,
da räumten se jrade mein‘ Schreibtisch aus.
An meine Kommode stand ’n Mann,
der saacht zu mir: „Fassen se doch mit an.
Se sehn doch – für een is’t zu schwer!“
Ick wundre mir über gar nischt mehr!

 

(8.)
Ick sucht mer ’ne Wohnung und kricht se nicht,
jetzt hab ick ne Badestube jekricht
Inne Badewanne wird’s Bett jemacht
Der Hahn, der dröppelt die janze Nacht.
Det Bett wird nass, keener weeß woher,
ick wundre mir über gar nischt mehr!

 

(9.)
Die Autos werd’n immer kleener jetzt,
Platz hat da höchstens bloß eener jetzt.
Ick braucht neulich eens, der Chauffeur saß drin,
Ick frage: „Kann ick denn da noch rin?
„Nee“, sagt er, „det langt bloß für’n Chauffeur.“
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

 

(10.)
Verkehrsteuern komm’n jetzt und drücken sehr,
’s wird immer verkehrter mitt’m Verkehr!
Ick lernte ’ne Dame kennen hier –
ick jing ooch mal ab und zu hin zu ihr.
Jetzt will die ooch Steuern für’n Verkehr…
Ick wunder mir über gar nischt mehr!

 

(11.)
Ob Junge, ob Mächen, det is nich schwer,
det bestimmt man jetzt allens schon vorher.
Der Mann sagt zur Frau: „Wat willst’n hab’n?
Willst’n Mächen oder willst’n Knab’n?“
„Ach, mach, wat de willst.“, sagt sie leger –
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

 

(12.)
’ne Hebamme ward zu ner Frau bestellt,
da kamen grad‘ Zwillige uff de Welt.
Als eener da war, da sagte sie:
„Acht Stunden sind rum, länger arbeit‘ ick nie!
Den ander’n, den hol‘ ick morjen her…“
Ick wunder mir über gar nischt mehr!

 

(13.)
Ja, wir in Deutschland hab’n keen Plaisier,
et jibt schon ’ne Menge Spitzbuben hier.
’ne Tante von mir, die jammert laut –
der hab’n se ‚t Jebiss aus’m Mund jeklaut.
Sie jähnte, da nahm’s eener, Jott weeß, wer –
Ick wunder mir über gar nischt mehr!

(14.)
’nen ollen Abreißkalender gab ick weg.
Mein Freund wollt‘ ihn zu ’nem jewissen Zweck.
Er kam Tag für Tag mit’m Datum aus.
Nur wie de Obstzeit kam, musst er öfter raus
Und Ende Aujust sagt „Prost Neujahr!“ er…
Ick wundre mir über gar nischt mehr!

Andere Strophen des Couplets:

In der Eisenbahn steigt man jetzt dritter ein,
reißt sich auf’m Holzweg ’nen Splitter ein.
In der zweeten Klasse ist Polster und Plüsch,
da sitzt die Noblesse – noblessoplüsch…
und die vierte fehlt und die erste ist leer –
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

Die „Aida“ kriegte das blaue Band.
Wir fahr’n immer schneller ins fernste Land.
Sind kaum auf’m Schiff, seh’n wir seekrank aus,
hab’n noch nischt jefressen, da müssen wir raus.
Det Schiff sieht keener bei dem Verkehr –
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

Wenn heutzutage ’n Minister geht,
denn bild’n se ’n neues Kabineet.
„Kabinettsbildung“ ist ’n schönes Wort:
Det Kabinett, det hab’n se sofort,
bloß mit de Bildung fällt’s oft schwer –
Ick wunder mir über gar nischt mehr!

Durch Affendrüsen wird’s Alter kuriert.
Ick bin heut mit so ’nem Verjüngten spaziert.
Uff eenmal isser mir abjeschob’n,
springt uff’n Boom und huppt da ob’n.
„Ja, det is mein Stammboom!“ sagte er.
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

De Steuern werd’n immer verrückter heut‘.
Da heiraten kürzlich zwei junge Leut‘.
De Nacht ist knapp rum, kommt ’n Bote an.
„Was woll’n Sie so früh?“ fragt der Ehemann.
„De Lustbarkeitssteuer!“ sagte der –
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

Ja, das Leben in Deutschland ist bitterlich,
so dacht‘ auch ein Doktor Ritter sich.
Der ließ sich erst alle Zähne zieh’n
und fuhr dann mit ihr zu ’ner Insel hin.
„Ja, det ist mein Rittergut“, sagt er –
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

Da leben die beeden nun billig und froh.
Sie braucht nischt kochen, er frisst allens roh.
Ihr Kleid ist aus Palmblättern, ziemlich knapp.
Jeden Sonntag pflückt er ihr ein neues ab.
Nun freut sie sich auf den Palmsonntag sehr.
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

Ja, die zahl’n keene Steuern, die leben nett,
die brauchen kein Haus, die brauchen kein Bett.
Die legen sich auf de Kakteen zur Ruh‘
und decken sich mit dem Äquator zu
und die Eidechsen stacheln am Bauch umher –
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

Ooch lange Kleeder sind wieder modern.
Wenn Dam’n krumme Beene hab’n, trag’n se se jern.
Ick habe schon so ’ne Beene jeseh’n,
die unten weit auseinandergeh’n,
aber oben komm’n se sich wieder näh’r –
Ick wunder mir über gar nischt mehr.

Mit’m Tonfilm scheint’s noch nicht glatt zu geh’n.
Ick habe da kürzlich so’n Film jeseh’n,
wo eener mittags bei Tische saß
und in dem Tonfilm ’n Teller mit Bohnen aß,
aber der Ton in dem Film kam erst hinterher –
Ick wunder mir über gar nischt mehr.