In 50 Jahren ist alles vorbei

In 50 Jahren ist alles vorbei

(1.)
Denk‘ stets, wenn dir etwas nicht gefällt:
„Es währt nichts ewig auf dieser Welt.“
Der kleinste Ärger, die größte Qual,
sind nicht von Dauer, sie enden mal.
Drum sei dein Trost, was immer es sei:
„In fünfzig Jahren ist alles vorbei.“

(2.)
Und ist alles teuer, dann murre nicht,
und holt man die Steuer, dann knurre nicht.
Und nimmt man dir alles, dann klage nicht.
Und kriegst du den Dalles, verzage nicht –
nur der, der nichts hat, ist glücklich und frei,
und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

(3.)
Und ist auch ein anderer klüger als du,
dann sei nicht dämlich und lach dazu.
Was nützt sein Wissen – stirbt der vorher,
bist du am nächsten Tage klüger als er.
Wer da weiß, dass er nichts weiß, weiß vielerlei –
und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

(4.)
Und geht zu ‚nem ander’n dein Mägdelein,
dann schick‘ ihr noch’s Reisegeld hinterdrein.
Und bist du traurig, denk‘ in der Pein:
„Wie traurig wird bald der and’re sein.“
Dem macht sie’s wie dir – die bleibt nicht treu –
und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

(5.)
Und siehst du ’ne Zeitung, dann schau nicht hin!
Es steht ja doch bloß was Schlechtes drin.
Und schafft dir die Politik Verdruss:
Es kommt ja doch alles, wie’s kommen muss!
Heut haben wir die, morgen jene Partei
und in fünfzig Jahren ist alles vorbei!

(6.)
Und stehst du nervös an ’nem Telefon,
und du stehst und verstehst da nicht einen Ton,
oder bist beim Zahnarzt – wenn er dich greift
und dich mit dem Zahn durch die Zimmer schleift,
und er zieht und er zieht und bricht alles entzwei –
in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

(7.)
Und fälscht man dir Schokolade und Tee,
und verspricht man dir echten Bohnenkaffee,
und du merkst, dass der Kaffee – wie schauderbar –
eine bohnenlose Gemeinheit war,
dann schließ die Augen und sauf den Brei –
in fünfzig Jahren ist alles vorbei!

(8.)
Und sitzt auf der Bahn du ganz eingezwängt,
und wird dir noch ’ne Frau auf den Schoß gedrängt,
und die hat noch ’ne Schachtel auf ihrem Schoß,
und du wirst die beiden Schachteln nicht los,
und die Füße werden dir schwer wie Blei:
In fünfzig Jahren ist alles vorbei!

(9.)
Und führst ‚nen Prozess du – ertrag die Qual,
und hörst du ’ne Oper, sie endet mal!
Und hast du Magenweh und musst raus
und da ist schon jemand, dann harre aus.
Wie lang‘ es auch dauert, der Platz wird frei –
und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

(10.)
Und bist du ein Mädchen von zwanzig Jahr
und freist einen Mann, der schon fünfzig war,
und der kommt dann gähnend beim Hochzeitsschluss
und braucht ’ne Stunde zu einem Kuss,
dann dulde und denk‘: ’s ist einerlei,
in zwanzig Jahren ist alles vorbei.

(11.)
Und bist du ein Eh’mann und kommst nach Haus
halb drei in der Nacht — und sie schimpft dich aus,
dann schmeiß dich ins Bette und sag: „Verzeih,
wär‚ ich zu Haus geblieben, wär’s och halb drei.“
Und kehr‘ ihr den Rücken und denk: „Nun schrei!
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.“

(12.)
Und sitzt du hier vorne als Humorist,
obwohl du bei den Zeiten traurig bist,
und du merkst, dein Vortrag gefällt nicht recht,
und du selber findest die Verse schlecht,
sing‘ immer weiter die Litanei:
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.

(13.)
Und fürchte dich nie, ist der Tod auch nah,
je mehr du ihn fürcht’st, um so eh’r ist er da.
Vor’m Tod sich fürchten, hat keinen Zweck.
Man erlebt ihn ja nicht — wenn er kommt, ist man weg.
Und schließlich kommen wir all‘ an die Reih‘
und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

(14.)
Drum: hast du noch Wein, dann trink ihn aus,
und hast du ein Mädel, dann bring’s nach Haus
und freu dich hier unten im Erdenlicht.
Wie’s unten ist, weißt du – wie’s oben, nicht.
Nur einmal blüht im Jahre der Mai,
und in fünfzig Jahren ist alles vorbei –
du Rindvieh, dann ist es vorbei!